KÁVÉHÁZ 32




Sitzung des

Caffè Greco

anläßlich der 32.Jahrestagung
der
literarischen Gesellschaft
für antikes Lustempfinden
während der Sarturnalien


Des fruchtbringenden Kaffeehauses
gehüteter Erzschrein

öffnet sich

Schmetterlingen und Seifenblasen,
Schmackazien und Schinderazzien,
schnapsfahnenumflatterten Recken,
Archegeten und Steckenreitern,
so sie die Stirn haben, dieselbe zu runzeln,

wie auch

dem Schrei nach Exegese,
dem Stöhnen des Streifenhörnchens
und den Zungenküssen des Teufels.

Es verschließt sich

Hintermännern und Hinterfrauen,
Schwarzem Peter und Schwarzer Petra,
der Hochleistungspsychologie
und dem wissenschaftlichen Trampelpfad,
wo Gedankennebel auf Flasche gezogen werden,

schließlich auch

eingefleischten Vegetariern und
kalten Hebammenfingerchen,
morschen Eselsbrücken und dem Köhlerglauben,
Weißwürsten in Rotweinsauce
und der Deutschen Bewölkung.

- à rebrousse-poil !






MUSSE UND MÜSSIGGANG





A

(2. Brief an die Thessalier, 3,10)

B

(Aristoteles - Politik, 1334a)


I



(Vacate et videte quoniam ego sum deus)

Psalmen 46, 11


II



(Platon - Phaidon, 66 d)


III








(Platon - Theaitet, 172c)


IV



(Aristoteles - Nikomachische Ethik, 1177b)


V



(Aristoteles - Politik, 1337b)


VI



(Aristoteles - Metaphysik, 981b)


VII

O Meliboee, deus nobis haec otia fecit

(Vergil, Eklogen I, 6)


VIII

.. inquis 'non satius est vel sic iacere quam in istis officiorum
verticibus volutari ?' Utraque res detestabilis est, et contractio
et torpor. Puto, aeque qui in odoribus iacet mortuus est quam
qui rapitur unco; otium sine litteris mors est et hominis vivi
sepultura

(Seneca - Epistulae morales ad Lucilium, LXXXII, 3)


IX

Cogitanti mihi saepenumero et memoria vetera
repetenti beati fuisse, Quinte frater, illi videri
solent, qui in optima re publica, cum et honoribus
et rerum gestarum gloria florerent, eum vitae
cursum tenere potuerunt, ut vel in negotio sine
periculo vel in otio cum dignitate esse possent

(Cicero - De oratore, I, 1)


X

P. Scipionem, Marce fili, eum, qui primus Africanus
appellatus est, dicere solitum scripsit Cato, qui fuit
eius fere aequalis, numquam se minus otiosum esse,
quam cum otiosus, nec minus solum, quam cum solus
esset. Magnifica vero vox et magno viro ac sapiente
digna; quae declarat illum et in otio de negotiis cogitare
et in solitudine secum loqui solitum, ut neque cessaret
umquam et interdum conloquio alterius non egeret.
Ita duae res, quae languorem adferunt ceteris, illum
acuebant, otium et solitudo. Vellem nobis hoc idem
vere dicere liceret, sed si minus imitatione tantam
ingenii praestantiam consequi possumus, voluntate
certe proxime accedimus. Nam et a re publica foren-
sibusque negotiis armis impiis vique prohibiti otium
persequimur et ob eam causam urbe relicta rura per-
agrantes saepe soli sumus.

Sed nec hoc otium cum Africani otio nec haec solitudo
cum illa comparanda est. Ille enim requiescens a rei
publicae pulcherrissimis muneribus otium sibi sumebat
aliquando et coetu hominum frequentiaque interdum
tamquam in portum se in solitudinem recipiebat,
nostrum autem otium negotii inopia, non requies-
cendi studio constitutum est.

(Cicero - De officiis, III, 1,2)


XI

Atque ego credo fore qui, quia decrevi procul a re
publica aetatem agere, tanto tamque utili labori
meo nomen inertiae inponant, certe quibus
maxuma industria videtur salutare plebem et
conviviis gratiam quaerere. qui si reputaverint,
et quibus ego temporibus magistratus adeptus
sim et quales viri idem adsequi nequiverint et
postea quae genera hominum in senatum per-
venerint, profecto existumabunt me magis merito
quam ignavia iudicium animi mei mutavisse
maiusque commodum ex otio meo, quam ex
aliorum negotiis, rei publicae venturum

(Sallust - Bellum Iugurthinum, IV, 3ff)


XII

.. considerandum est de vita activa et contemplativa.
Ubi quadruplex consideratio occurrit, quarum prima
est de divisione vitae per activam et contemplativam;
secunda, de vita contemplativa; tertia, de vita activa;
quarta, de comparatione vitae activae ad contemplativam
..
(Art. 2) .. Videtur quod vita non sufficienter dividatur per
activam et contemplativam. Philosophus enim in I Ethic.
dicit quod tres sunt vitae maxime excellentes, scilicet
voluptuosa, civilis, quae videtur esse eadem activae, et
contemplativa. ..

Praeterea, Augustinus, XIX de Civ. Dei, ponit tria vitae
genera, scilicet otiosum, quod pertinet ad contemplationem;
actuosum, quod pertinet ad vitam activam; et addit tertium
ex utroque compositum. ..

Respondeo dicendum quod .. divisio ista datur de vita humana,
quae quidem attenditur secundum intellectum. Intellectus
autem dividitur per activum et contemplativum, quia finis
intellectivae cognitionis vel est ipsa cognitio veritatis, quod
pertinet ad intellectum contemplativum; vel est aliqua exterior
actio, quod pertinet ad intellectum practicum sive activum.
Et ideo vita etiam sufficienter dividitur per activam et contemplativam

(Thomas von Aquin - Summa Theologiae, II-II, q. 179)


XIII

Sich amüsieren heißt etymologisch:
die Muße loswerden

(Aus: Johann Gottfried Seume - Apokryphen)


XIV

O Müßiggang, Müßiggang ! du bist die Lebensluft
der Unschuld und der Begeisterung; dich atmen
die Seligen, und selig ist, wer dich hat und hegt,
du heiliges Kleinod ! einziges Fragment von Gott-
ähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese blieb.

(Aus: Friedrich Schlegel - Idylle über den Müßiggang)


XV

Muße, du heiliges Kleinod, einziges Fragment der
Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese blieb !

(Aus: dto - Lucinde)


XVI

Der geistreiche Mensch wird vor allem nach Schmerz-
losigkeit, Ungehudeltsein, Ruhe und Muße streben,
folglich ein stilles, bescheidenes, möglichst unange-
fochtenes Leben suchen und demgemäß die Zurückge-
zogenheit und bei großen Geistern sogar die Einsam-
keit wählen.

(Schopenhauer - Aphorismen zur Lebensweisheit, II)


XVII

Noch bedenklicher stimmte es Oblomow, als vor seinen
Augen Umschläge mit der Aufschrift dringend oder
sehr dringend vorbeiflitzten, als ihm aufgetragen wurde,
verschiedene Ermittlungen anzustellen, Auszüge anzu-
fertigen, Akten zu durchwühlen, die wie zum Hohn
'Meldungen' genannt wurden. Zudem wurde möglichste
Eile gefordert, jedermann hastete und niemals gab es einen
richtigen Schluß. Kaum war man mit der einen Sache fertig
geworden, als man sich schon mit leidenschaftlichem Eifer
auf die nächste stürzte, als läge da der Inbegriff aller Kraft
verborgen. Hatte man die zum Abschluß gebracht, vergaß
man sie sogleich wieder und stürzte sich auf eine dritte
und so ohne Ende und ohne Ende !
....
Dies alles machte ihm Angst und langweilte ihn unsäglich.
'Wann soll man leben ? Wann soll man denn leben ?',
wiederholte er bei sich.

(Aus: Iwan Gontscharow - Oblomow)


XVIII

Man schämt sich jetzt schon der Ruhe;
das lange Nachsinnen macht fast schon
Gewissensbisse. Man denkt mit der Uhr
in der Hand, wie man zu Mittag ißt, das
Auge auf das Börsenblatt gerichtet, - man
lebt ,wie Einer, der fortwährend etwas
versäumen könnte'. 'Lieber irgend Etwas
tun, als Nichts' - auch dieser Grundsatz ist
eine Schnur, um aller Bildung und allem
höheren Geschmack den Garaus zu machen.

(Nietzsche - Fröhliche Wissenschaft, 239)


XIX

Das zur Kunst ausgebildete Trägsein ist im
Abendlande zu allen Zeiten nur von harmlosen
Dilettanten betrieben worden

(Aus: Hermann Hesse - Die Kunst des Müßiggangs)


XX

Muße ist ein Zustand der Seele

(Aus: Josef Pieper - Muße und Kult)


XXI

Nichts tun vermehrt
den Frieden der Welt

(Aus: Friedrich Georg Jünger
- Gedanken und Merkzeichen)



XXII

Weil die Arbeitswut eine weitgehend internationale
Erscheinung ist und ohne Rücksicht auf politische
Systeme besteht, darum ist eine Verteidigung des
Müßigganges heutzutage bereits ein müßiges Unter-
nehmen: Es ist verschwendet, es muß wirkungslos
bleiben, - eine Feststellung übrigens, die nur von
einem Mann getroffen werden kann, der seinerseits
von der Arbeit besessen ist.

Denn natürlich wird ein leidenschaftlicher Müßiggänger
nicht nach Wirkung und Zweck fragen, nach kalkuliertem
Nutzen, vielmehr wird er sich gerade für das erklären, was
ihm verschwendet erscheint, er wird das Müßige als das
einzig Schätzenswerte ansehen. Und das bezeichnet nun
auch die Qualität seines 'Tuns'. Es ist nicht blinde Geschäf-
tigkeit, die nur die Zeit füllt oder an einem Zweck gemessen
wird, sondern schöpferische Nichtarbeit, produktives
Träumen, eben: Müßiggang.

Das hat keineswegs etwas mit Faulheit zu tun. Faulheit im
einfachsten Sinne ist zunächst nichts anderes als tatenlose,
ermattete Freiheit von der Arbeit: Man lebt ohne Kraft zur
Entscheidung wie Oblomow, bis man von sanftem Schlag-
fluß heimgesucht wird. Dem Müßiggang hingegen liegt
eine definitive Entscheidung zugrunde: Man ist bereit, das
Nichtstun auszukosten, auszubeuten, auf absichtslose Weise
aktiv zu sein. Somit ist Müßiggang alles andere als eine
Ermattung des Geistes. Der verständige Müßiggänger lehnt
es ab, sich mit Betriebsamkeit zu betäuben, da er es durchaus
bei sich selbst aushält. Pascals Bemerkung, daß 'alle Leiden
des Menschen daher kommen, daß er nicht ruhig in seinem
Zimmer sitzen kann', trifft auf ihn nicht zu. Er kann lange
ruhig sitzen, und er kann staunen.

(Siegfried Lenz - Die 'Zeit' vom 30. März 1962)







Lob der Faulheit

Faulheit, jetzo will ich dir
Auch ein kleines Loblied bringen.-
O .. wie .. sau .. er .. wird es mir,
Dich .. nach Würden .. zu besingen !
Doch, ich will mein Bestes tun,
Nach der Arbeit ist gut ruhn.

Höchstes Gut ! wer dich nur hat,
Dessen ungestörtes Leben --
Ach ! .. ich .. gähn' -- ich .. werde matt ..
Nun .. so .. magst du .. mir's vergeben,
Daß ich dich nicht singen kann;
Du verhinderst mich ja dran.

(Gotthold Ephraim Lessing)








Zustupf

I

Semper facito aliquid boni operis,
ut te diabolus inveniat occupatum

(Hieronymus - Epistula IV ad Rusticum))

II



'Ich will einfach nur hier sitzen'

(Aus: Loriot - Feierabend)



Lebensdaten

Platon (428/27 - 348/47)

Aristoteles (384 - 322)

Cicero (106 - 43)

Sallust (86 - 34)

Vergil (70 - 19)

Hieronymus (347 - 420)

Thomas von Aquin (1225 - 1274)

Lessing (1729 - 1781)

Schlegel (1772 - 1829)

Schopenhauer (1788 - 1860)

Gontscharow (1812 - 1891)

Hesse (1877 - 1962)

Friedrich Georg Jünger (1898 - 1977)

Josef Pieper (1904 - 1997)

Loriot (1923 - 2011)

(Siegfried Lenz, geb. 1926)




Nota bene -





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